Gemeinnützige Genossenschaft hält an Idealen fest, auch nach 125 Jahren
Das Quartier ist zentral gelegen und trotzdem eine eigene Welt. Es offenbart ein Stück Bad Homburger Stadtgeschichte: Als Homburg um die Jahrhundertwende nach Süden expandierte, das Krankenhaus, der Schlachthof und die heutige Hölderlinschule Gestalt annahmen, wurden zwischen Urseler Straße und der heutigen Goldgrubenstraße Wohnhäuser gebaut, die den Wandel der Zeit überdauert haben. Bauherrin und bis heute Eigentümerin vieler dieser Objekte: die Gemeinnützige Genossenschaft zu Homburg vor der Höhe von 1900.
„Damals waren vor allem in der Altstadt viele kleine Häuser überbelegt, und mit der Hygiene stand es auch nicht zum Besten“, erklärt Jürgen Mugler vom Vorstand der Genossenschaft. Wilhelm von Meister, damals Landrat des Obertaunuskreises, gab den Anstoß zur Gründung am 1. Dezember 1900. „Abhülfe für Wohnungsnoth“ lautete das Motto, unter dem zwischen 1902 und 1905 die ersten Häuser in der Feldbergstraße errichtet wurden – „und dem Motto sind wir bis heute treu“, sagt Mugler.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Genossenschaft weiter – diesmal in der Berliner Straße. Der letzte Neubau entstand im Rahmen der Nachverdichtung 1998. „Damals wurden zwei Mehrfamilienhäuser in der Berliner Straße gebaut. In einem sind Eigentumswohnungen entstanden – das hat uns die Finanzierung des anderen ermöglicht.“
Keine Expansionsgelüste
„Wir haben den letzten freien Bauplatz längst belegt. Wir kümmern uns um den Erhalt und die allmähliche Modernisierung“, so Mugler. Seit 2013 verfolgt die Genossenschaft einen Masterplan zur schrittweisen Sanierung. Der Bestand umfasst 187 Wohnungen in 38 Gebäuden. Viele waren jahrzehntelang von denselben Menschen bewohnt.
„In der Goldgrubenstraße haben wir derzeit einen Leerstand, weil die Mieter nach 65 Jahren ausgezogen sind.“ Das sei kein Einzelfall. „Eine Dame, die im Alter von 100 Jahren starb, wurde hier geboren, wuchs hier auf und verbrachte ihr Leben vom ersten Tag an hier“, erzählt Mugler.
Früher habe es zwei bis drei Kündigungen pro Jahr gegeben – aktuell sind es mehr, weil langjährige Mieter versterben oder ins Altenheim ziehen.
3 Euro kalt pro Quadratmeter
Die Genossenschaft entwickelt sich behutsam. Der Caritas-Kiosk, der in den kleinen Anbau mit Eingang an der Urseler Straße gezogen ist, sei ein „Volltreffer“ gewesen.
Modernisierungen erfolgen nur mit Zustimmung der Genossen – sofern sie nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Das wirkt sich auf die Miete aus: Es gab zuletzt Kaltmieten von 3 Euro pro Quadratmeter. „Wir sind günstig – man bleibt, solange man kann.“
Engagement über Generationen
Drei Personen bilden den Vorstand. Josef Kaiser, 82 Jahre alt und ehemaliger Personalchef im Landratsamt, wurde für 50 Jahre Vorstandsarbeit geehrt und legt sein Amt zum Monatsende nieder. „Er hat die Genossenschaft maßgeblich mitgestaltet“, sagt Mugler. Nachfolgerin wird Jeli Basic – selbst in einer Genossenschaftswohnung aufgewachsen und nun mit eigener Familie dort lebend.
Dritte im Bunde ist Sabine Behlau-Grimmer, Bilanzbuchhalterin, zuständig für Verwaltung und Finanzen. Der sechsköpfige Aufsichtsrat besteht aus drei Bewohnern und drei Fachleuten (Banker, Anwältin, Bauingenieur).
Nachhaltigkeit statt Rendite
Es gibt keine öffentlich geförderten Wohnungen mehr, doch die Mietstruktur bleibt sozial: Nach Modernisierung zahlt man meist 9,50 bis 10 Euro pro Quadratmeter – in Einzelfällen mehr.
Aktuell wird ein Haus in der Feldbergstraße saniert. Das Treppenhaus duftet nach frischer Farbe, das historische Holzgeländer bleibt erhalten. Neue Mansardenwohnungen mit Flachdächern und Balkonen entstehen. Für die oberste Etage werden 14 Euro pro Quadratmeter aufgerufen.
Seit Jahrzehnten arbeitet die Genossenschaft mit einer festen Handwerksfirma zusammen. Auch Mieter dürfen sich einbringen – zum Beispiel bei der Gartenpflege. Doch laut Mugler ist der Gedanke der Selbsthilfe rückläufig.
Stattdessen steht heute Nachhaltigkeit im Fokus. Nisthilfen und Nistkästen für Schwalben wurden angebracht – wofür es 2023 die Auszeichnung „Schwalbenfreundliches Haus“ vom NABU gab. Die Gärten hinter den Häusern, obwohl durch Nachverdichtung verkleinert, existieren noch – und laden zum Verweilen ein.
„Früher hieß das hier ,Gaase-Siedlung‘, weil sich die Bewohner Ziegen hielten“, verrät Mugler.
Text: Harald Konopatzki